Dreimal ist Gunma Recht

Wenn man in Bremen zwei Mal richtig Mist gebaut hat, aber es noch ein drittes Mal versuchen will, dann wird oft ausgerufen: „Dreimal ist Bremer Recht!“.Warum das so ist und wo das herkommt, keiner weiß es genau. Warum der JCRC drei Rennen in Gunma austrägt und ich da schon wieder hinfahren musste wusste auch keiner genau.

Aber eins wusste ich sehr sicher: Das würde das härteste Rennen der Saison werden denn es ging diesmal über 12 Runden des hügeligen 5 km Kurses in der japanischen Diaspora. Damit ich mir dort die notwendigen Punkte für die Meisterschaft holen konnte, durfte ich mich nicht überrunden lassen, aber selbst in guter Form hatte ich auf dem Kurs eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 31 km/hr, während die Spitze lachend mit fast 36 km/hr über die Ziellinie fuhr. Meine einzige geringe Chance war im Windschatten zu fahren und permanent angefeuert zu werden, aus diesem Grunde überzeugte ich Tom, mit dem ich bereits in Shiobara unterwegs war, und Ludwig mich nach Gunma zu begleiten.

Ludwig hatte ich ein Jahr vorher zum Radfahren gebracht. Wir hatten die gleichen Freunde, wohnten zu unterschiedlichen Zeiten in der gleichen Hütte in Tokyo, waren im gleichen Stipendium aber hatten uns nie getroffen. Bis wir es dann mal taten und kurz danach in derselben Firma arbeiteten. Leider hatten wir dann einige Reibereien und sahen uns eine Weile nicht, bis wir den Faden wieder aufnahmen und begannen zusammen Rad zu fahren. Ich lieh Ludwig mein altes Rennrad und wir fuhren los, am Anfang war er natürlich nicht besonders gut, aber da er jünger, leichter und noch ehrgeiziger war als ich, machte er mich schon bald an jedem Berg mühelos kalt. Trotzdem harmonierten wir gut miteinander und fuhren an den Wochenenden längere Touren in den Bergen nördlich von Toyko. Sowohl Ludwig als auch Tom waren also deutlich schneller als ich, was bedeutete, dass sie genug Luft in den Lungen haben sollten, um mich auch am Berg anfeuern zu können. Leider hatte ich ganz vergessen, das Ludwig ja in der X Klasse starten würde und nicht mit mir zusammen.

Wir machten uns also an einem wunderschönen Oktobertag mit stahlblauem Himmel im Firmen BMW auf den Weg nach Maebashi um dort in einem Business Hotel zu übernachten. Maebashi ist der letzte Zipfel der Tokyoter Zivilisation, einem riesigem Gebiet in dem mehr als 30 Millionen Menschen leben. Überwiegend übrigens Japaner, falls das nicht klar ist.

Japaner. Viele.

In Japan lebten 2020 etwa 126 Millionen Menschen, Tendenz sinkend. Etwa 2 bis 3% davon sind Ausländer, wobei der Begriff Ausländer hier sehr weit gefasst ist: Zu den Ausländern gehören etwa die Nachfahren koreanischer und chinesischer Zwangsarbeiter die im 2. Weltkrieg nach Japan verschleppt wurden und dann aufgrund der Bürgerkriege nicht mehr zurückkehren in ihre Heimat zurückkehren konnten. Mehr als 75 Jahre später haben viele dieser Menschen keinen japanischen Pass; die Gründe dafür sind vielschichtig und liegen nicht allein in der Politik Japans, aber am Ende leben fast eine Million Menschen ihr ganzes Leben in Japan, sprechen japanisch und sehen aus wie Japaner, haben aber keinen japanischen Pass.

2009 wurde ich eingeladen von der Stadt Itoigawa, die gerade von der UNESCO als „Geologisches Weltkulturerbe“ ausgezeichnet worden war. Japan liegt ja unglücklicherweise im Schnittpunkt von vier tektonischen Platten die immer noch heftig zucken. Und Itoigawa liegt gerade dort, wo die Eurasische Platte auf die Nordamerikanische Platte an die nördliche Küste Japans trifft. Ein paar andere Ausländer und ich sollten sich die Stadt und ihre touristischen Möglichkeiten ansehen und Ratschläge geben, wie man mehr ausländische Touristen anziehen könnte. Ich durfte da hin, weil die japanische Frau eines ehemaligen Kollegen dort aus der Gegend kam. Ich will jetzt gar nicht über das sinnlose Unterfangen an sich erzählen: Itoigawa war mal ganz schön, aber heute ist es das eben nicht mehr. In den Siebzigern und Achtzigern wurde alles schöne in der Stadt platt gemacht und durch etwas modernes ersetzt. Dann endete die „Bubble Era“, das Geld wurde knapp und all das neue moderne wurde in den nächsten dreißig Jahren alt, hässlich und blieb stehen. Dazu muss man wissen, dass in Japan ja nicht für die Ewigkeit gebaut wird, da Naturgewalten wie Erdbeben, Taifune und Tsunamis eh alles schnell zerbröseln lassen. Kein Mensch käme da auf die Idee sagen wir mal, Pyramiden zu bauen, denn die würden schon während der Bauzeit fünf Mal zerstört werden. Durchschnittlich hält ein Gebäude etwa dreißig Jahre, dann wird es durch etwas neues ersetzt. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte aller Gebäude die in Japan standen, als ich 1985 zum ersten Mal da war, heute nicht mehr existieren. Wie die Hütte in der ich damals lebte.

Links Eurasien, rechts Nordamerika – der Hammer !

Jedenfalls gab es in Itoigawa wirklich nichts schönes. Klar, man kann mit dem Boot zum fischen rausfahren, oder die wunderschöne Natur in den Bergen außerhalb von Itoigawa bewundern. Aber in der Stadt selber gab es nur diese eine Grabung, bei der eine Stelle freigelegt wurde an der das geübte Geologenauge sehen kann, wie eine tektonische Platte auf der anderen liegt. alle anderen Augen sehen da nur Stein und Staub. Wie sollte man damit Touristen nach Itoigawa locken, außer Gruppen von perversen Geologen die nachts heimlich an der Grabung ejakulieren?

Wir waren eine Gruppe von 20 Ausländern, die genau diese Ideen haben sollten. Meine progressiven und originellen Vorschläge wie Radrennen, Radrennbahn, Sechstagerennen, Radrennen für Geologen wenn’s denn sein muss, fanden erwartungsgemäß wenig Gehör. Interessant war aber, dass alle anderen 19 Ausländern genau wie ich bereits mehr als zehn Jahre in Japan lebten. Da waren zwei japanische Opas dabei die ich für Japaner gehalten hatte, die aber beide als Kinder im Krieg von Korea nach Japan verschleppt wurden und seitdem in Kyoto, der japanischsten aller Städte überhaupt lebten. Und auch nur japanisch sprachen. Da würde ich jetzt die Bezeichnung „Ausländer“ zwar als faktisch richtig, aber wenig sinnvoll erachten.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass der Anteil an Ausländern in Japan nur deswegen steigt, weil die japanische Gesamtbevölkerung sinkt und mehr alte Japaner, als junge Ausländer sterben. Eine Immigration nach Japan gibt es so gut wie nicht. Einer der Hauptgründe für Immigration in Deutschland, nämlich politisches Asyl, ist in Japan quasi nicht existent. 2018 gab es in Japan etwas mehr als 10.000 Anträge auf Asyl, von denen 42 genehmigt wurden. Einbürgerungen gibt es mehr aber auch nicht viele, was an der langen Prozedur und den hohen Anforderungen liegt, das durfte ich selber ansatzweise erfahren.

Nach acht Jahren in Japan stellte ich einen Antrag auf Permanente Aufenthaltsgenehmigung (eijutai) und musste dafür eine Reihe von Dokumenten vorbereiten. Neben dem üblichen Kram wurde von mir verlangt eine Begründung auf japanisch zu schreiben, eine Skizze anzufertigen, wie ich von meinem zuhause zur nächsten U-Bahnstation komme, mit Angabe markanter Gebäude und Geschäfte entlang des Weges und außerdem sollte ich auch zwei Fotos beifügen, die meine Frau und mich in „typisch häuslichen Situationen“ zeigen. Letzteres empfand ich als besondere Herausforderung an meine kreativen Fähigkeiten. Wir machten ein Foto, wie ich im Wohnzimmer auf der Couch liege mit einer Flasche Bier und in der Hand und dabei eine japanische Wirtschaftszeitung, „Nikkei Shinbun“ lese, während meine Frau mit dem Staubsauger um mich herum saugt. Damit wollte ich nachweisen, wie sehr ich mich schon in die japanische Männerrolle zuhause eingefunden hatte. Japanische Männer machen nämlich zuhause absolut nichts, erstens, weil sie nichts können, und zweitens weil sie nichts dürfen.

Ein zweites Foto machte ein guter Freund von uns beiden. Meine Frau und ich lagen nebeneinander im Bett und lasen beide ein Buch, meine Frau „Stalingrad“ von Anthony Beaver und ich „Darum spinnen Japaner“ von Christoph Neumann. Das schien mir aber dann doch etwas zu gewagt und ich entschied mich für ein weiteres Fotos am Yasukuni Schrein in Tokyo, wo die ganze Familie still den Kriegstoten des 2. Weltkrieges gedachte.

Das war das Maximum, was ich an Opportunismus machen konnte; ein halbes Jahr später konnte ich mir meine Bescheinigung abholen. Die Prozedur um eingebürgert zu werden ist deutlich komplizierter und erforderte unter anderem die Annahme eines japanischen Namens. Kein Wunder also, dass das für viele nicht attraktiv ist, etwa 20 bis 40 Tausend Menschen werden jedes Jahr Japaner, die meisten davon Chinesen und Koreaner.

In Maebashi, um den Faden wieder aufzunehmen, übernachteten wir also in einem miesen Hotel mit kleinen Betten und schlechtem Frühstück und das war immer noch 60 km vom Gunma CSC entfernt. Kurz nachdem wir dort angekommen waren, fuhr ein anderer Ausländer auf den Parkplatz. Ich hatte seinen Namen schon einmal in der Ergebnislisten des JCRC gesehen und gegoogelt, das war ein erfolgreicher Headhunter für Investmentbanker in Tokyo. Im Gegensatz zu uns mit unserem mickrigen BMW fuhr der mit einem Porsche Sportwagen vor, auf dessen Dach zwei teure Räder fixiert waren. Da seine unglaublich gut aussehende japanische Freundin dabei war und ein Porsche ja fast keinen Kofferraum hat, waren auf dem Heck zwei schwarze Ledertaschen für den notwendigen Kram: Pumpe, Radkleidung, Erdsatzteile und Riegel in der einen, Kosmetika im wesentlichen in der anderen.

Jetzt würde ich ja gerne schreiben, was für ein schlechter Fahrer das ist, aber leider war das überhaupt nicht der Fall, er landete weit vorne in der A Klasse und stand somit in Punkto Leistung, Aussehen, Erfolg, Reichtum, Frauen für alles was ich verabscheue und mir gleichzeitig wünsche.

Alles was ich mir wünsche.

Zusammen mit Tom ging ich dann an den Start der D Klasse. Das Rennen entwickelte sich dann schnell wie erwartet: In der Abfahrt konnte ich gut mithalten, aber sobald es in den ersten Anstieg ging fiel ich wie in den beiden vorherigen Rennen aus dem Feld heraus. Tom blieb netterweise bei mir und feuerte mich an, während ich mir die Lunge aus dem Hals pedalierte. Ludwig tat ebenfalls sein bestes vom Streckenrand aus. Wenn ich mit Schwung aus den Abfahrten kam, war ich tatsächlich auch schneller am ersten Stück der Anstiege, was Tom dann immer glauben ließ, ich würde meine wahren Fähigkeiten zeigen und ihn noch lauter schreien ließ. Aber es war halt nur träge Masse, die sich gemäß physikalischer Gesetzmäßigkeiten bewegte. Zudem hatte ich auch Probleme mit der Schaltung, während des Transportes hatte ich irgendwie das Schaltwerk verstellt oder beschädigt und mir fielen ständig die Gänge raus. An sich war es von Anfang an hoffnungslos 12 Runden auf diese Weise zu überleben, aber da wir schon mal da waren taten wir alle unser bestes: Ich fuhr Rad und verausgabte mich völlig, Tom fuhr Rad neben mir und verausgabte sich eher weniger und Ludwig fuhr halt später.

Nach 8 Runden war es dann soweit, wir wurden von den führenden Motorrad des Hauptfeldes überholt und aus dem Rennen gewunken. 8 Runden sind an sich keine schlechte Leistung, beim ersten Mal in Gunma hatte ich so gerade 3 Runden überlebt, beim zweiten Mal 6 und jetzt schon 8. Aber es war halt immer noch viel zu schlecht um vorne mitspielen zu können.

Immerhin, von den 71 gestarteten Fahrern schafften es nur 51 ins Ziel, der Rest wurde wie ich früher oder später aus dem Rennen genommen. Insgesamt war es aber dennoch ein voller Erfolg, weil auch mein schärfster Verfolger in der Meisterschaft überrundet wurde und somit so wie ich keine Punkte bekam. Und der Drittbeste in der Jahreswertung landete sogar unter den ersten sechs im Rennen. Hm, dann bekommt er doch jede Menge Punkte, richtig? Ja, das stimmt aber auch dazu eine Beförderung in die C Klasse und ist damit raus aus der D Jahreswertung. Tja, zu gut darf man eben auch nicht sein beim JCRC.

Ludwig fuhr ein erstes, starkes Rennen und wurde erst in der letzten Runde überrundet, sonst wäre er auch in die Wertung gekommen. In den verbleibenden Rennen platzierte er sich irgendwie gut und konnte dann im Jahr darauf in der D Klasse starten. Wo er dann, genau wie ich versuchte die Meisterschaft zu holen und dies, genau wie ich, dann auch tat. Jetzt bleibt nur noch abzuwarten, ob er nächstes Jahr auch ein Buch darüber schreiben wird, so wie ich.

Wir fuhren nach Hause und ich radelte am nächsten Tag zu meinen Radladen „Positivo“, der dem wunderbaren Nagai-San gehörte, damit er mein Schaltwerk wieder in Ordnung brachte.

Der wunderbare Nagai-San (rechts)

Nagai-San hatte seinen kleinen Laden aufgemacht, nachdem er aus Europa zurückkam, wo er als Mechaniker im Pro-Team Fasso Bortolo bis 2005 gearbeitet hatte. Er hatte an den Rädern von Ivan Basso, Fabian Cancellara, Alessandro Petacchi, oder Vincenzo Nibali geschraubt und man sagte, wenn er eine Shimano 105 einstellt, dann läuft die wie eine Ultegra. Sein Laden war eher bescheiden klein, fast kein Platz für Räder und vollgestopft mit Teilen bis oben. Reparaturständer und Werkstatt waren vor der Verkaufstheke, so dass es auch keinen ruhigen Platz gab, an dem man konzentriert schrauben konnte. Trotzdem war Nagai-San immer voll da und beeindruckte mit Präzision und Schnelligkeit. Ihm war es egal, ob er für Nibali oder für mich schraubte, er versuchte immer sein Bestes zu geben. Ich konnte mir keinen besseren Mechaniker wünschen – noch nicht einmal von Radsport Lentzen in Aachen.

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