Bremer Radmarathon: Ein Rückblick nach 12 Stunden Schlaf

Gestern war ich leider zu tot, um noch etwa sinnvolles zu schreiben. Heute geht es mir schon besser und ich kann nur sagen: Super Ereignis – jederzeit wieder!

Tja, das ist halt der Unterschied in den Gedanken zwischen gleich danach und nachdem uns das Gehirn suggeriert, das alles in Ordnung ist.

Es folgt eine lange, uninteressante Einleitung. Diejenigen die an der RTF interessiert sind mögen bitte weiter unten weiterlesen wo steht „Hier weiterlesen“.

Gestern Nacht hatte ich, noch ziemlich KO vom Radmarathon einige schlimme Träume von Vollmetalliegestützen:

Das war aber schon besser als die Nacht davor, denn ich war sehr nervös nach meiner vollmundigen Ankündigung 216 km mit dem Fixie fahren zu wollen. Also tat ich das, was ich immer mache, wenn ich mich eigentlich auf wichtige Aufgaben, zum Beispiel durch Schlaf, vorbereiten sollte: Ich lenkte mich ab. Mehrere Freunde und Kollegen hatten mir erzählt, daß Fight Club ein Superfilm ist, den ich mir unbedingt ansehen sollte. Ich hatte den dann bei Amazon bestellt und bei der Bestellung irgendwie mitbekommen, dass dieser Film erst ab 18 ist. Jedenfalls kam der Postbote dann und verlangte vor den Augen von Frau und Kindern, dass ich mein Alter nachwies, so daß er mir das Paket aushändigen konnte. Er hatte so einen Blick, als hätte ich „Blutjunge Gürkchen, in Scheiben geschnitten“ oder ähnlich perverses Zeug bestellt. Mit mitleidigem Blick sah er meine Frau und meine zehnjährige Tochter an: „Ahnt ihr denn nicht was dieser Man heimlich macht, wenn ihr nicht hinschaut?“ Er durfte aber nichts sagen; ich hatte aber nachher einen echten Komplex. Also musste ich mir das gleich ansehen in der Nacht vor dem Radmarathon, bis so gegen halb zwei Na ja. Schlecht ist der Film ja nicht, aber für jemanden der Zivildienst gemacht hat, auch nicht richtig prickelnd.

Ich mag auch eher lustige Filme, oder romantische. Ersteres wäre dies und letzteres wäre das. Das ist übrigens kein Film über Frauen oder die Liebe zu Frauen, sondern über die Liebe am Schreiben.

Egal, ich schlief also sehr schlecht, träumte gar nicht und wachte um acht Uhr auf. Ich mußte mich nun beeilen, zum Glück hatte ich mich am Vortag schon gut organisiert und alles vorbereitet. Dachte ich. Später bei der RTF stellte ich dann fest, dass ich vor drei Wochen vergessen hatte den Vorbau richtig festzuschrauben, so daß ich echt eine richtig gute Chance hatte mich richtig auf die Fresse zu legen. Ich küsste Frau und Tochter zum Abschied (mein 15-jähriger Sohn steht nicht so darauf) und fuhr zum Start. Erste Regentropfen fielen auf mich runter und ich dachte nur. Oh Gott, oh Gott, oh Gott, oh Gott, worauf habe ich mich hier eingelassen.

Das ist ohnehin ein Manko in meinem Leben, ich habe einfach kein Gespür für Gefahr, wenn Sie weiter als einen Tag weit weg ist. Bungee Jumping? Oh Gott, niemals! Jemanden Schläge androhen? Kommt gar nicht in Frage! Sich in einer Woche für zwei Jahre an den Arsch der Welt ins chinesische Hinterland versetzen lassen? Klar, kein Problem. Muß halt nur mehr als drei Tage weg sein. An dem Tag vorher kriege ich natürlich die Riesenmuffen, denn jetzt wird das Ereignis von meinen persönlichen Gefahrenüberwachungsgradar (PGÜR) wahrgenommen.

Aber zum Glück hatte ich ja eine Menge guter Mitfahrer, die um Punkt 9:20 Uhr am Eingang zum Unibad auf mich warteten. Ich ging mich also erst einmal anmelden, wo ich dann auf die Hälfte der Truppe stiess. An dieser Stelle möchte ich auch noch mal schreiben wie gut ich das finde, dass der RSC Gold so etwas ausrichtet. Das kostet viel Blut, Mühe und Tränen und am Ende sagt keiner Danke. Aber wenn es keiner machen würde, dann wäre die Radwelt auch wieder um ein Ereignis ärmer, deswegen hier Danke an die älteren Herrn und Damen des RSC und an Sven.

Das war nun das dritte Mal, daß ich an dem Radmarathon teilnahm. Das erste Mal war ein wenig chaotisch (Bericht auf englisch hier) und ich wurde zum ersten Mal mit dem besonderen Charakter von Norddeutschen vertraut gemacht.

Das zweite Mal lief es schon besser, vor allem legte ich tatsächlich nur 216 km zurück wie geplant. Und ich lernte ein paar neue Leute kennen, wie Kai(pi) (Bericht auf englisch hier).

Deswegen fand ich das schon mächtig gut dort nun anzukommen und eine Menge Leute zu treffen, die ich kannte. Ich wechselte einige Worte mit Matthias von Wiegetritt (Zweiundzwanzig  Worte), sprach mit Muckel, Sven, Compadre und Gerhard und dann endlich ging es zum Start. Natürlich waren auch wieder die Tarnkappenbomber aus St. Pauli da (Bild vom letzten Jahr) die man ja kaum sieht.

Man kann die so gerade noch auf dem Bild hinter Silke erkennen. Auf der Strasse sieht man eigentlich nur herrenlose Fahrräder, die wie eine wildgewordene Herde Pferde ohne Reiter durch die Wiesen galoppieren.

Am Start war es mal wieder hektisch. Eigentlich hatten wir ja ausgemacht, dass wir als Gruppe zusammen gemütlich fahren. Nein, eigentlich war es nicht „gemütlich“ in dem Sinne in dem wir das Wort „gemütlich“ verwenden, sondern „angemessen schnell“. Wir haben es noch nicht mal geschafft am Start irgendwie alle zusammen zu sein. Ich denke, das ist auch OK und der Preis den man dafür zahlen muß, daß wir keine Vereinsdisziplin haben, uns abends nicht zu Vorstandssitzungen treffen, draußen vor dem Vereinsheim heimlich rauchen und an Wochenenden dort Unkraut zuppen müssen.

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Und schon ging es los. Wie immer war das Feld ordentlich nervös und die erste Steigung über die Autobahn am Platzhirsch wurde schon mit 30 km/hr plus genommen. Ich hielt mich irgendwie an Schnoop und Campadre, ich glaube BLITZRAD (!) habe ich auch irgendwo noch wahrgenommen. Ich finde es ja nicht so wahnsinnig wichtig dort schnell zu fahren, denn die Erfahrung zeigt halt, dass dann alle ohnehin wieder an der Ampel bei der Strasse nach Liliental warten und so war es dann auch. Schnoop wähnte ich hinter mir und als Campadre sich nervös umblickte wo sie denn blieb, sagte ich, dass sie die Ampel nicht geschafft hätte (ich selber fuhr bei gelb rüber). Ein paar Minuten später überholte ich sie (sie war doch vor mir) und hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen. Ich fühlte mich, als wenn mir der Postbote den nächsten Pornofilm vor meiner Familie zustellen würde. Aber so ist das halt, wenn man die ersten vier Schuljahre auf eine streng katholische Grundschule gegangen ist und so etwas wie ein Gewissen entwickelt hat.

Das Feld machte ordentlich Tempo, aber das war mir egal, ich blieb einfach in der Nähe von Gerhard und bald hatten wir eine Gruppe von 6, 7 Fahrern zusammen. Das war dann schon ganz angenehm und im richtigen Tempo. Alte Schule überholte uns und verschwand. Dann kam eine größere Gruppe von hinten, wieder mit Schnoop und Campadre und nahm einige von uns mit, andere blieben bei uns und so kamen wir zur ersten Kontrollstation, wo wir auf Sven und BLITZRAD (!) stießen.

Dan begann der beste Teil der Tour. Wir waren eine sehr harmonische Gruppe, zusammen mit Gerhard und zwei anderen unbekannten Fahrer. Der eine war Holländer aus Mettman und wohnte nun in Oldenburg. Der andere war Delmenhorster und wohnte in Bremen und arbeitete für Milram. Das ist prima, wenn man so vor sich hin fährt, doch schnell vorwärts kommt aber sich im Windschatten ein wenig unterhalten kann – was einem die Leute da so erzählen …. das erfährt man doch sonst nie!

Campadre nahm die Sache in die Hand und gab das Tempo vor. Er fuhr sehr viel vorne und wenn ein anderer von uns vorne zuviel Tempo machte pfiff er den zurück. Das klappte sehr gut und so waren wir fast alle motiviert die 160er Runde zu fahren als wir zur Abzweigung kamen. Nur Gerhard fuhr die 120er und ich hoffe, daß er gut nach Hause gekommen ist.

Und so fuhren wir in der Sonne mit Schäfchenswölkchen durch die schönen Dörfer Niedersachsens. Sauensieck ist ja ein heimlicher Favourit von mir, aber auch Wohnste gefolgt von Lebste (Nein, es ist nicht „Wohnste noch oder Lebste schon“ sondern nach „Wohnste“ kommt „Klein-Wohnste“) sind ganz nett. Später kam noch „Drögenholz“, paßte, selbst die Bäume sahen dort unheimlich dröge aus.

Am Kontrollpunkt in Heidenau fragte ich mal rund, wer noch mit auf die 216er Runde in die Heide wollte. Und da war dann so einer mit Blau-orangem Trikot vom RSC Warburg den ich meinte irgendwie ja sagen gehört zu haben und so sagten wir Tschüss zu den anderen und fuhren los. Dieser Mitfahrer war leider wahnsinnig mundfaul. Und auch ein wenig langsam. Bis zum nächsten Kontrollpunkt ging es ja noch, aber als wir dann gegen den Wind in der Heide einen Hügel hoch mußten ging die Leistung in den Keller wie bei meinen Kindern wenn ich sie bitte den Tisch nach dem Essen abzuräumen. Gerade noch mit Elan am mampfen macht sich am Tisch auf einmal eine bleierne Müdigkeit breit.

Also, das war kein Warburger, sondern ein Wartburger.

Na ja, das ist sicher auch ein lieber Mensch gewesen, aber da er ja nix sagte hatte ich auch keine Chance das herauszufinden. Also bin ich alleine weiter. Das mit dem Wind ging jetzt gar nicht mehr. Meine starre 52/16 Übersetzung konnte ich nur noch mit 30 RPM treten und mit 15 km/h vorwärts kriechen. Am liebsten hätte ich vorderes und hinteres Ritzel getauscht und wäre mit 16/52 weitergefahren. So aber wechselte ich den Gang.

Das geht bei meinem Single Speed leider nicht, in dem man vorne am rechten Hebel einmal tippt, sondern in dem man vom Rad steigt, den 15er Schlüssel aus der Trikottasche holt, das Hinterrad losschraubt, umdreht und mit dem 18er Freilauf auf der rechten Seite wieder montiert. Diese Prozedur hat einen Nachteil:

Man muß sich gut überlegen, wann man schalten will

und einen Vorteil

Man verschaltet sich aber sehr selten

Jedenfalls macht man kein willenloses, unbewußtes hin und herschalten, was heutige Jugendliche als Unsitte mit STI und Ergopwerhebeln so machen.

Ich war jedenfalls alleine und kam wieder nach Heidenau an den Kontrollpunkt. 133 km waren geschafft. Jetzt ging es also nur noch ganz alleine weiter, der Wartburg war jetzt dort Suppe tanken. Mir tat schon alles weh und das Tempo war jetzt so bei 20 – 25 km/h gegen den Wind. War nicht schön und machte keinen Spaß. Einmal fing es auch kurz an zu regnen, aber eben nur kurz. Ich überholte zwei andere Fahrer aber die hatten auch keine Lust sich mit mir zu unterhalten. Für einen Rheinländer ist das eine echte Strafe.

So fuhr ich allein durch Tiste / was war ganz herbe und triste

Die Kontrollpunkt in Hetzwege habe ich irgendwie nicht wahrgenommen. Danach, bei km 177 hatte ich ein mechanisches Problem. Die Mutter an der Hinterradachse war durchgebrochen und ich konnte noch irgendwie den oberern Teil wieder festziehen. Ich hatte halt nur Sorge, daß ich bei einem sehr festen Antritt die Achse aus dem Ausfallende ziehe und dann schön auf die Fresse falle. Ist mir schon einmal bei einem Rennen passiert, als ich den Schnellspanner nicht ordentlich festgezogen hatte und dann bei einem schnellen Antritt aus der Kurve über den Lenker flog. Tut weh. Also fuhr ich von nun an noch vorsichtiger. Ich wußte aber nun daß ich es schaffen würde.

Beim Kontrollpunkt in Otterstedt, 28 km vor dem Ziel war dann auch schon fast keiner mehr außer Manfred und Andreas vom RSC die gerade packten. E s gab auch nicht mehr viel zu essen, so daß ich mich wieder auf dem Weg machte. Ich führ dann nach Quelkhorn, aber dann nicht die offizielle Strecke die ich nicht mag, sondern nach Fischerhude und von da am Wald lang bis nach Borgfeld. Das ist nicht kürzer, aber wenn ich fast im Delirium bin fahre ich halt lieber bekanntes Terrain. Und dann die Abkürzung am Horner Freibad.

Um 18:30h kam ich endlich an. Natürlich war nix mehr da und es wurde gerade aufgeräumt. Manfred und Andreas aus Otterstedt waren auch schon da. Klar. Ich nahm das alles nicht mehr so wahr.  Die letzten Kilometer hatte ich nur noch geflucht. Alles was nicht perfekt ist rächt sich dann. Ich hatte zum Glück meinen bequemsten Sattel montiert aber mein Hintern fühlte sich an, als wenn ich ohne Bibs gefahren wäre. Und meine Assos Handschuhe haben Löcher, das stört normalerweise nicht, aberj etzt hatte ich Blasen an den Händen. Es war furchtbar. warum mache ich nur so einen Mist. Ich meine, ich bin fast 50, das bedeutet, daß ich die Hälfte meines Lebens mit Sicherheit hinter mir habe, also kann es ja wohl keine Midlife Crisis sein.

Ja, so dachte ich vielleicht gestern, aber heute sieht das schon wieder alles ganz anders aus. Supertag, der echt zur Charakterbildung diente. Mehr davon.

Meinen Dank noch Mal an Schnoop, Campadre, Gerhard und die unbekannten Zwei für die schönsten Stücke auf der Tour, allen anderen meinen Respekt.

6 Kommentare

Eingeordnet unter 2012, Mob, Rennen

6 Antworten zu “Bremer Radmarathon: Ein Rückblick nach 12 Stunden Schlaf

  1. Bloeh

    Wie immer toller Lesestoff, meinen größten Respekt vor dieser tollen Fleißarbeit an der Tastatur sowie an der Pedalkurbel!

  2. Campadre

    Super, dass du es durchgehalten hast. Ich würde nicht mal 10 tage nach der Strapaze so einen text hinbekommen. ich würde glaube ich immer noch fluchend sämtliche Ergüsse wieder löschen. Danke für den tollen bericht.

  3. Tobi

    Wie immer, toller Bericht, weiter so!

  4. Gerhard

    Wie immer sehr schöner und lesenswerter Bericht. Jetzt weiß ich auch, dass du nicht nur halb Italiener und halb Japaner, sondern auch noch Rheinländer bist (so wie ich, linker Niederrhein!). Voller Respekt für deine Leistung, dein Dank an mich ist leider unnötig, da ich dazu nichts beitragen konnte. Ja, ich habe die 130 (!) km gut und unbeschadet überstanden, auch weil ich im letzten Drittel mit einer Gruppe vom RSC Bremerhaven fahren konnte, deren Leader ca. 230 cm groß war, fast aufrecht auch seinem Rad saß und hinter dem ich mich gut verstecken konnte.

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